Lost in Paradise
Metallisch schimmernd baut sich das ein Meter hohe Objekt als Blickfang vor unseren Füßen auf, formschön und gleichzeitig irritierend in seiner Entrücktheit. Erst einmal wirkt „flipflop_volcano.stl“ wie ein nierenförmiges Abstraktum mit zwei mittig platzierten Verstrebungen als schwungvolle Verbindung zum Boden. Eine gewisse Elastizität scheint die organische Plastik auszuzeichnen, so biegt sie sich leicht gemäß der Erdanziehung. Prima vista ist Janina Roiders Skulptur aus synthetischem Polymeren jedenfalls nicht unbedingt als vergrößerter Flip-Flop auszumachen, der im Sand zu stecken scheint. Kaum hat man aber das Vorbild der populären Sandale erkannt, schwirren einem auch schon diverse Erinnerungsfetzen durch den Kopf: Das Gefühl von sonnendurchtränkten, unbeschwerten Traumwelten. Die Leichtigkeit des Seins am Strand in südlichen Gefilden, wenn man allen Ballast inklusive der Badeschlappen von sich werfen darf – „Paradise Lost“ sozusagen. Seit Claes Oldenburg haben nur wenige Künstler:innen ein banales Alltagsobjekt so gekonnt gigantesk als Skulptur in den Raum übersetzt. Zugleich ist Janina Roider aber mit „flipflop_volcano.stl“ ein weit von der Plakativität der Pop Art entfernter Hybrid gelungen.
Die Doppelbödigkeit des Erscheinungsbildes rührt nicht unerheblich von der technischen Umsetzung her. Über 8 Tage verrichtete der 3D-Drucker schichtweise sein Werk, so dass sich jetzt minutiös Gebrauchsspuren und sogar der Fußabdruck der Künstlerin aus dem real vorhandenen Sandalenvorbild abzeichnen. Durch die monströse Vergrößerung und Halbierung des Modells, durch den Transfer aus der digitalen Welt sind die verstörenden Momente gegeben. Der kurioserweise in der Industrie als „Flop“ bezeichnete Effektlack liefert das perfekt oszillierende Finish. Havaianas ist längst eine eingetragene Marke, historisch betrachtet sind die Zehentrenner-Sandalen nach ihrer Entstehung 1962 in Brasilien wegen ihrer Erschwinglichkeit vor allem von den Armen getragen wurden. Die Ursprünge reichen sogar bis zu der aus Reisstroh geflochtenen Zori-Sandale des traditionellen Japans zurück. Janina Roider überblendet durch dieses mitschwingende soziologische Narrativ das Klischee eines hippen Freizeitartikels. Hinter ihrer 3D-Skulptur verbirgt sich zugleich eine persönliche Verbundenheit mit Brasilien, wo man Flip-Flops generationenübergreifend quasi das ganze Jahr trägt. Doch das ist wieder eine andere Geschichte.
Birgit Sonna, 2022